Samstag, 11. Februar 2017

Urheberrecht und Wissenschaft - der Kern des Problems

Wissenschaft als Suche nach Erkenntnis ist ein kommunikatives Unterfangen. Wis¬senschaftlichen Publikationen kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. Veröffentlichungen informieren über den aktuellen Stand der Diskussion. Sie bilden den Ausgangspunkt jeglicher Forschungsarbeit. Die dabei gewonnenen Ergebnisse werden wiederum publiziert, um ihrerseits weiterführende Untersuchungen zu ermöglichen. 

Zur optimalen Ausgestaltung dieses „Publikationskreislaufes“ hat die Wissenschaft stets alle technischen Möglichkeiten genutzt. Eine besondere Rolle kam hier in der Vergangenheit gedruckten Zeitschriften zu, die relativ schnell und einfach eine umfassende wissenschaftliche Diskussion über Orts- und Zeitgrenzen hinweg ermöglichten. Mit dem Aufkommen des Internet hat der wissenschaftliche Austausch jedoch eine neue Qualität erreicht. Inhalte können jetzt global und praktisch ohne Zeitverlust publiziert und diskutiert werden.

In dem Maße aber in dem Wissenschaft vermehrt digital kommuniziert, gewinnen urheberrechtliche Fragestellungen an Bedeutung. Die Nutzung von Inhalten, die unkörperlich über Netze verbreitet werden, unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht nämlich fundamental von der Arbeit mit gedrucktem Material. So können Bücher und Zeitschriftenhefte allein auf der Grundlage des Eigentums am bedruckten Papier beliebig genutzt werden. Das Urheberrecht spielt hier keine Rolle. Die Nutzung unkörperlicher digitaler Inhalte hingegen ist technisch gesehen immer mit Vervielfältigungsvorgängen, also mit Eingriffen in urheberrechtliche Verwertungsrechte verbunden.
Solche Eingriffe sind nur dann erlaubt, wenn entweder die Rechteinhaber dies im Rahmen einer vertraglich vereinbarten Lizenz ermöglichen oder der Gesetzgeber die Nutzung in einer gesetzlichen Schrankenbestimmung gestattet. Wer digitale Inhalte nutzt, muss sich also stets vergewissern, ob er dies auch darf. Aus diesem Grund sind digital arbeitende Wissenschaft und Urheberrecht untrennbar miteinander verbunden.

Wer wissenschaftlich tätig ist, will sich aber nicht mit urheberrechtlichen Problemen, sondern mit den Fragestellungen seines Faches beschäftigen und diese mit den Methoden seiner Disziplin sachgerecht bearbeiten. Hierzu gehören in jedem Fall ein umfassender Zugang zu Publikationen und die ungehinderte Diskussion von Forschungsergebnissen. 

An dieser Stelle wird das Urheberrecht zu einem ernsten Problem, wenn nicht die Wissenschaft und ihre Kommunikationsbedürfnisse, sondern die für die einzelnen Inhalte in hohem Maße wechselhafte und uneinheitliche Urheberrechtslage darüber entscheidet, ob und inwieweit Inhalte zur Verfügung stehen, zugänglich sind oder genutzt werden dürfen. Dabei ist diese Urheberrechtslage maßgeblich durch Ausschließlichkeitsrechte von Wissenschaftsverlagen und anderen kommerziellen Verwerter geprägt. 

In der Vergangenheit war dies kein Problem, denn im analogen Zeitalter haben gerade die Wissenschaftsverlage durch ihre gedruckten Publikationen die für das wissenschaftliche Arbeiten notwendige wissenschaftliche Öffentlichkeit hergestellt. Grundlage für diese unverzichtbare Tätigkeit waren umfassende Verwertungsrechte an den publizierten Inhalten. Indem Verlage diese Rechte ausübten, verbreiteten sie gedrucktes Material und machten es überhaupt erst öffentlich. Wissenschaftsurheberrecht war daher als wissenschaftsverlagsfreundliches Urheberrecht wissenschaftsfreundlich.

Im digitalen Zeitalter jedoch werden die Ausschließlichkeitsrechte von Verlagen problematisch, denn durch die Möglichkeiten des Internet ist die Herstellung einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit kein verlegerisches Monopol mehr. Wenn Verlage jetzt ihre Ausschließlichkeitsrechte ausüben, dann nicht, um eine umfassende Öffentlichkeit herzustellen, sondern um wissenschaftliche Inhalte in einem von ihnen kontrollierten Bereich gegen Bezahlung zur Verfügung zu stellen. Damit aber werden Sichtbarkeit und Erreichbarkeit von Publikationen begrenzt. Aus Sicht der Verlage ist dies verständlich, da sie wissenschaftliche Publikationen durch Verknappung zu einem handelbaren Wirtschaftsgut machen.

Aus Sicht der Wissenschaft aber führt diese Situation zu einer Störung im wissenschaftlichen Diskurs, da nunmehr kein einheitlicher, allen gleichermaßen zugänglicher Raum wissenschaftlicher Diskussion zur Verfügung steht. Auch wenn die allermeisten Inhalte noch über analoge Lieferdienste beschafft werden können oder in Bibliotheken einsehbar sind, aus dem Fokus einer digital arbeitenden Wissenschaft fallen sie wegen des umständlichen Beschaffungsweges weitgehend heraus.
Vor diesem Hintergrund dreht sich der Streit um ein angemessenes Urheberrecht in der Wissenschaft im Kern um die Frage, ob es die Wissenschaft hinnehmen muss, wenn wissenschaftsfremde Akteure wie Verlage ihre Rechte an den publizierten Inhalten im Gegensatz zum analogen Zeitalter nun nicht mehr zur Herstellung, sondern zur Verknappung einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit nutzen.
Befürworter eines wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts sind der Ansicht, dass an erster Stelle die Wissenschaft und ihre Kommunikationsbedürfnisse der Maßstab für eine Ausgestaltung des wissenschaftsbezogenen Urheberrechts sein müssen und nicht die wirtschaftlichen Interessen von Verlagen an der Aufrechterhaltung von Publikationsstrukturen, die angesichts der kommunikativen Möglichkeiten des Internet nicht mehr optimal sind. Wissenschaftsurheberrecht im digitalen Zeitalter ist daher nur als wissenschaftsbezogenes, nicht jedoch als bloß wissenschaftsverlagsfreundliches Urheberrecht wirklich wissenschaftsfreundlich. 

Da aber die Wissenschaft auch im digitalen Zeitalter auf professionelle Publikationsdienstleister nicht verzichten kann, steht nicht zu befürchten, dass ein an den Bedürfnissen der Wissenschaft orientiertes Urheberrecht keinen Raum mehr ließe für verlegerisches Engagement. Nur wird sich dieses im digitalen Bereich nicht mehr auf ausschließliche Rechte gründen können, da solche Rechte einem umfassenden und ungehinderten Informationsfluss entgegenstehen und damit stets zu einer suboptimalen Kommunikationssituation in der Wissenschaft führen werden.