Montag, 13. März 2017

Ein Erklärbär zu publikationsfreiheit.de

Post vom Verlag

Wer, gerade in den Geisteswissenschaften, wird gegen gedruckte Bücher oder die kleinen und mittelständischen deutschen Wissenschaftsverlage sein? Niemand. Und wenn man Post von einem solchen Verlag bekommt, dem man als langjähriger Autor vielleicht noch verbunden ist, wird man diese Post genau lesen und ernst nehmen.


#Book


Die Existenz des Verlages, ja der ganzen wissenschaftlichen Verlagslandschaft in Deutschland sei bedroht, heißt es da. Auch das wissenschaftliche Lehrbuch werde künftig nicht mehr existieren. Besonders gefährlich sei eine gerade geplante Reform des Urheberrechts. Eine verwerfliche Gratis-Mentalität dieser Reform wird aufgezeigt: 25% eines Buches sollen künftig ohne jede Vergütung digital genutzt werden. Das sei auch ein massiver Eingriff in die Autorenrechte.

Entrüstung macht sich breit. Abhilfe freilich wird sofort angeboten. Man müsse nur auf der Seite publikationsfreiheit.de seine Solidarität kundtun. Das sei ein wichtiges Signal an die Politik. Dann könne das Schlimmste verhindert werden.

Angesichts der aufgezeigten Lage lässt ein redlicher Wissenschaftler sich nicht zweimal bitten und wird auf publikationsfreiheit.de unterschreiben oder seinen Verlag bitten, das für ihn zu tun.

#Beef

"Kessel buntes"

Tatsächlich scheint dies alles ein ganz normaler Vorgang zu sein. Auch die Seite publikationsfreiheit.de selbst ist aufgeräumt und informativ. Zu dem suggestiven Namen gesellt sich noch der Einsatz für Deutschland als Bildungsrepublik. Wichtige Werte und Grundrechte werden beschworen. Es müsse weiterhin möglich sein, Bücher zu publizieren. Es dürfe kein Zwang zu einer bloß digitalen und frei zugänglichen Internetpublikation (Open Access) geben. Die kleinen und mittelständischen Wissenschaftsverlage in Deutschland sollen sich auch weiterhin neben aggressiven internationalen Großverlagen behaupten dürfen. Und schließlich müsse die unselige und für die Verlage brandgefährliche Urheberrechtsreform verhindert werden.

Dem Unterzeichner wird so eine merkwürdige Mischung angeboten. Wer etwas gegen einen Zwang zu Open Access ist und überdies internationale Konzernverlage und deren Geschäftspraktiken kritisch sieht, muss sich auch gleichermaßen gegen die geplante Urheberrechtsnovelle aussprechen, die weder Open Access noch das Wettbewerbsrecht der Wissenschaftsverlage zum Thema hat. Es geht nur "alles oder nichts".

Angesichts dieser "interessanten" Mischung von Themen solle man einmal genauer hinsehen, was man da eigentlich unterschreibt. Aber wer hat Zeit und Muße, sich die rund 60 Seiten des Gesetzentwurfes, die manche Verlage ihrer Autorenmail noch beigefügt haben, durchzulesen? Vielmehr vertraut man auf die Angaben der Verlage und zeichnet. Damit ist alles erledigt, und der normale Lehr- und Forschungsalltag geht weiter.

Viel Spaß mit Urheberrecht an der Hochschule

Hier nun ist man, soweit man digitale Lehr- und Lernplattformen einsetzt, ständig mit urheberrechtlichen Problemen konfrontiert. Technisch leicht bereitzustellende Scans aus Büchern, die man gerne in die Lehre einbinden möchte, sind nicht ohne Weiteres möglich. Zum Jahresende drohte gerade die Abschaltung der elektronischen Semesterapparate. Mit einem Wort: Man ist einfach nur genervt.


In der Praxis wird man, um der berechtigten studentischen Nachfrage nach digitalen Inhalten nachzukommen, von der eigenen Hochschule bereits lizenziertes Material aus den großen Ebook-Paketen und Datenbanken der Konzernverlage nutzen, auf freie Internetquellen verweisen oder selbst Materialen erstellen und digital verteilen.

Auf andere Bücher und Literatur, die man gerne einsetzen möchte, wird man vielleicht noch empfehlend verweisen, wohl wissend, dass nur eine Minderheit der Studierenden in der Bibliothek auch tatsächlich einen Blick ins Buch werfen wird, von einer eigenen Anschaffung ganz zu schweigen. Es wäre schön, so denkt man, wenn das Urheberrecht auch so einfach wäre wie die Nutzung von digitalen Lernplattformen.

Bloß keine Reform!

Während man das so denkt, finden in Berlin und anderswo verschiedene Gespräche zum geplanten neuen Urheberrecht statt. Erstaunten Politikern werden beeindruckende Zahlen und prominente Namen präsentiert, die auf publikationsfreiheit.de zu finden sind und die sich dort auch gegen die geplante Urheberrechtsreform ausgesprochen haben. Man selbst war ja auch dabei. Aber wogegen war man? Gegen eine Enteignung der Autoren und dagegen, dass das neue Recht die Existenz gerade der kleinen und mittleren Verlage vernichtet.

Der Witz ist nur: Nichts davon ist wahr.

Gucken wir uns die Sache einmal genauer an. Obwohl im Gesetzentwurf eine Vielzahl von Regelungen enthalten ist, etwa zum Sammeln und Archivieren von Internetseiten durch die Deutsche Nationalbibliothek, damit wir künftig überhaupt noch ein funktionierendes kulturelles Gedächtnis haben, wenden sich die Verlage im Kern gegen eine einzige Vorschrift, nämlich die Erlaubnis, in passwortgeschützten elektronischen Semesterapparaten für die Dauer eines Semesters  25% von Buchinhalten nutzen zu dürfen.

Zurück zur Rechtslage von 2003!


Diese Nutzung ist, entgegen anderslautender Behauptungen der Verlage, im jedem Fall angemessen zu vergüten. So, und nicht anders steht es im Gesetzentwurf. Diese Regelung ersetzt den heutigen § 52a UrhG, der im Kern nichts anderes aussagt als das, was nun in klarerer und verständlicher Formulierung geregelt werden soll. § 52a ist bereits 2003 in Kraft getreten und wurde bis circa 2013 im Wesentlichen so genutzt, wie dies auch nach der neuen Gesetzeslage wieder möglich sein soll. Wir erinnern uns alle ein ein massives Verlagssterben in dieser Zeit?! Ja? Nicht?? Hm ...

Nach 2013 und 2014 haben zwei Entscheidungen des BGH ("Gesamtvertrag Hochschul-Intranet" und "Meilensteine der Psychologie") den praktischen Anwendungsbereich der Norm ganz im Sinne der jetzt wieder lautstark erhobenen Verlagsforderungen modifiziert. Zwei Aspekte sind hier wesentlich: Die Vergütung soll einzelfall- und nutzungsbezogen erfolgen (Einzelabrechnung), und: Bieten Verlage selbst zu angemessenen Bedingungen Lizenzen für die Nutzung ihrer Inhalte im Semesterapparat an, so müssen die Lizenzen erworben werden (Verlagsvorrang).

Die Folge dieser Entwicklung war, dass die Nutzung der elektronischen Semesterapparat in der Praxis massiv zurückgegangen ist. Ein Rahmenvertrag mit der VG Wort zur Regelung der Einzelerfassung und Einzelabrechnung der Nutzung wurde im letzten Jahr mit Blick auf den unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand (man muss ja auch noch in JEDEM Fall und in JEDEM Semester erneut nach angemessenen Verlagsangeboten suchen) von den Hochschulen in Deutschland flächendeckend abgelehnt.

Der vorliegende Gesetzentwurf reagiert auf diese Situation und stellt die Rechtslage von 2003 wieder her - mit zwei wichtigen Unterschieden: Er enthält mit der 25%-Regel eine starre Nutzungsgrenze, womit unsichere und mit Prozessrisiken belastete Einzelfallabwägungen vermieden werden, und schließt eine Einzelabrechnung aus, die, bevor sie richtig etabliert werden konnte, in der Praxis ja gescheitert ist.

Um es auf den Punkt zu bringen: Mit der Behauptung, das deutsche Wissenschaftsverlagswesen wird untergehen, bekämpft man eine Bestimmung, die seit 2003 rund zehn Jahre bereits gelebte Praxis war.

Die Hauptkritikpunkte

Kommen wir nun auf die vier Hauptkritikpunkte der Verlage

1. Die Nutzung von 25% ist zuviel!

2. Wenn Verlage Lizenzen anbieten, dann müssen sie Vorrang vor einer gesetzlichen Erlaubnis haben.

3. Lehrbücher müssen von der neuen Regelung ausgenommen werden, sonst hat diese Literaturform keine Zukunft mehr.

4 Wenn auf Grundlage der gesetzlichen Erlaubnis genutzt wird, ist die angemessene Vergütung im Wege der Einzelabrechnung zu leisten.


Die 25%-Regel

Über die 25% kann man sicher reden. In der Praxis würden es wohl auch 15% tun, jedenfalls für solche Bücher, die noch lieferbar sind. Soweit ein Werk aber vergriffen ist, könne man im passwortgeschützen Semesterapparat aber auch noch weit über die 25% hinausgehen. So gesehen, wäre hier noch Raum für eine differenziertere und gleichwohl praxistaugliche Lösung: 15% gingen immer. Wer mehr will, der muss eben recherchieren oder beim Verlag eine Lizenz erwerben.

Vorrang von Verlagsangeboten

Sollte eine Verlagslizenz aber immer Vorrang haben? Hier stellen sich gleich mehrere Probleme. Man muss zunächst ermitteln, ob es überhaupt ein Lizenzangebot gibt. Sodann muss man entscheiden, ob das Lizenzangebot auch angemessen ist. Man kann sich leicht vorstellen, wie das in Praxis der Hochschullehre aussehen wird. Die wahrscheinliche Konsequenz, die ein verpflichtender Verlagsvorrang haben wird, ist, dass man entweder an der Hochschule schon vorhandene Lizenzen nutzt, freie Netzinhalte einbindet oder, um mit dem ganzen Urheberrechtskram nicht mehr zu tun zu haben (Ja, liebe Verlage, SO denkt mittlerweile die Praxis!!), das vorlesungsbegleitende Material gleich selbst erstellt. Letztes bringt zudem gute Evaluationen. Natürlich kann man auch auf Lehrbücher und dergleichen verweisen. Aber werden Studierende diesen Hinweisen nachgehen und die Bücher nutzen. Diese Frage beantwortet sich für den Praktiker wohl von selbst ...

Ausnahme für Lehrbücher?

Damit wäre eigentlich auch die Frage beantwortet, ob man Lehrbücher von der Nutzung im elektronischen Semesterapparat ausnehmen soll. Klar, kann man machen. Aber dann werden diese Werke für das studentische Publikum noch unsichtbarer, als sie es ohnehin schon sind. Dass Lehrbücher wirtschaftlich unter Druck geraten sind, ist sicher richtig.

Dass dies aber daran liegt, dass sie ausschnittsweise in elektronischen Semesterapparaten genutzt werden, ist eine steile These ohne empirische Belege. Plausibler ist da etwas ganz anderes: Die durch die Bologna-Reform teilweise hoch spezialisierten Studiengänge kombinieren ihre Themen und Fragestellungen nicht mehr nach dem fachlichen Fokus eines von Kiel bis Passau gleichermaßen nutzbaren Lehrbuches. Dass Studierende in diesem Kontext auf Lehrbücher immer öfter meinen verzichten zu können, liegt auf der Hand. Und wenn sie gleichwohl den Erwerb eines Lehrbuches in Erwägung ziehen, schmälert ein über das Internet sehr effektiv oragnisierter Gebrauchtbuchmarkt den Absatz verlagsneuer Bücher.

Dadurch, dass man Lehrbücher von der Nutzung im elektronischen Semesterapparat ausnimmt, löst man von den genannten Problemen exakt KEINES.

Einzelabrechnung

Kommen wir zur Forderung einer einzelfallebezogenen Vergütung für die Nutzung im Semesterapparat. Diese Ansatz wurde 2013 vom BGH ins Spiel gebracht, mit dem Vorbehalt freilich, dass diese Form der Abrechnung auch praktisch umsetzbar sein muss. Das Scheitern eines entsprechenden Rahmenvertrages mit der VG Wort zum Jahresende hat diese Abrechungsweise im Grund schon beerdigt. Bedenken solle man auch, dass jede Form von Bürokratie bei der Nutzung des elektronischen Semesterapparates zu einem Rückgang von Nutzungen und damit am Ende auch der zu zahlenden Vergütung führen wird. Alle bekannten Zahlen und Stichproben deuten darauf hin, dass eine im Einzelfallverfahren erhobene Vergütung DEUTLICH hinter den bisher gezahlten pauschalen Sätzen zurückbleiben wird.

Die großen Fragen


Soweit zu den Details. Am Ende wollen wir aber noch einmal zu den großen Linien zurückkehren und fragen:

1. Was versprechen sich die Verlage eigentlich von einer Kampagne wie publikationsfreiheit.de?

2. Wie steht es um die Rechte der Autorinnen und Autoren, wie um ihre Publikationsfreiheit, wenn die Reform wie geplant umgesetzt wird?

Ist die geplante Urheberrechtsreform verlagsfeindlich?


Die kleinen und mittleren deutschen Wissenschaftsverlagen, die überwiegend Bücher herausbringen, sehen sich großen Herausforderungen gegenüber. Die Absätze sind rückläufig. Es ist verständlich, wenn man in jeder nur denkbaren Form an den Nutzungen der eigenen Verlagsprodukte partizipieren will, um Umsatzeinbußen zu kompensieren. Die Frage ist nur, ob eine Verschärfung des Urheberechts hier den gewünschten Effekt bringt.

Ich glaube, dass die Verlage hier einer gefährlichen Täuschung unterliegen. Sie glauben, dass die für Forschung, Lehre und Wissenschaft relevanten Inahlte verlegerische Inhalte sind. Für sie stellt sich die Lage, vereinfacht gesprochen, so dar: Entweder man bezahlt beim Verlag für die dort vertriebenen Inhalte oder man "schnorrt" eben diese Inhalte über unangemessen liberale Regelung im Urheberrechtsgesetz.

Ausgehend von dieser "binären Betrachtung" ist es folgerichtig, dass bei einem Zurückfahren der Ausnahmen im Urheberrecht die direkten Umsätze der Verlage steigen werden.

So einfach das ist, so falsch ist es auch. Übersehen wird nämlich, dass es drei sehr mächtige Alternativen zum Verlagsangebot gibt.

Da sind zum einen die an nahezu allen Hochschulen vorhandenen großen eBook-Pakete internationaler Konzernverlage. Gerade für das Bachelor-Studium wird sich da schon geeignete Literatur finden, die eine weitere Lizenzierung beim deutschen Mittelstandsverlag entbehrlich macht.

Besonders attraktiv sind zudem auch die mittlerweile in sehr ordentlicher Qualität verfügbaren freien Angebote im Internet. Nein, nicht darüber lächeln. Das hat der Brockhaus, als Wikipedia aufkam, auch schon gemacht. Die Folgen sind bekannt. Bekannt ist auch, dass Studierende mit ihren mobilen Endgeräten ihre Informationsbedürfnisse ohnehin im freien Internet zu befriedigen gewohnt sind. Was daraus für die Hochschullehre folgt, liegt auf der Hand.

Schließlich erlauben die digitalen Möglichkeiten den Lehrenden selbst, eigene Materialien zu erstellen und in der Lehre einzusetzen. Dass diese Materialien überdies auch frei im Netz angeboten werden können, wo sie zudem die Bekanntheit und das Renommee des Lehrenden deutlich und nicht unbedingt weniger als eine klassische Verlagspublikation zu befördern vermögen, sei nur am Rande erwähnt.

Aus dem Gesagten jedenfalls ergibt sich eindeutig, dass die einfache binäre Welt der Verleger so nicht existiert. Im Grunde suchen die Verlage nach dem dicken roten Button, um das Internet abzuschalten. Dann wäre alles gut.



Aber diesen Button gibt es nicht. Und im Urheberrecht ist er ohnehin nicht zu finden. Von daher macht die immer wieder zu hörenden Behauptung, die geplante Urheberrechtsform entziehe den Verlagen die wirtschaftliche Grundlage, wenig Sinn. Vielmehr wird andersherum ein Schuh daraus: Weil nämlich - gerade im Lehrbuchbereich - alternative digitale Angebote zu den Inhalten der kleinen und mittleren Wissenschaftsverlage zur Verfügung stehen, sollte es im Interesse der Verlage sein, wenn ihre Inhalte einfach und unkompliziert in digitale Lernumgebungen eingebunden werden können. Diese Lernumgebungen sind gleichsam wie Schaufenster, mit denen Studierende die traditionellen Verlagsprodukte überhaupt erst wahrnehmen, spätere Käufe nicht ausgeschlossen.

Überdies: Soweit ein Werk ständig und in großem Umfang in der Lehre eingesetzt werden soll, würde es sowieso von der zuständigen Hochschulbibliothek erworben, sei es analog, sie es digital. Die Nutzung im Semesterapparat ist ja immer nur auschnittsweise und situativ.

Beschneidung von Autorenrechten?


Verlage weisen in ihren Anschreiben darauf hin, dass durch die geplante Urheberrechtsform auch die Rechte von Autorinnen und Autoren massiv beeinträchtigt werden. Von vergütungsfreier Nutzung ist hier immer wieder die Rede. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Nutzung im elektronischen Semesterapparat muss in jedem Fall vergütet werden. Autorinnen und Autoren werden über die VG Wort entschädigt. Die Vergütung selbst wird pauschal an die zuständige Verwertungsgesellschaft gezahlt, die sie dann gemäß ihrem Verteilungsplan an die Bezugsberechtigen ausreicht.

Einzelabrechnung?

Wäre es nicht besser, so könnte man fragen, wenn die Inhalte über Verlage vermarktet werden, die dann ihrerseits auf Grundlage der mit den Autorinnen und Autoren geschlossenen Vereinbarungen die Einnahmen weiterreichen? Soweit es nicht gerade Rechtswissenschaft ist, wo regelmäßig dreistellige Honorare für einen Aufsatz gezahlt werden (sorry, liebe Germanisten ...), werden die übrigen Wissenschaftautorinnen und -autoren schon wissen, in welchem Verhältnis die jährlichen Zahlungen der VG Wort zu dem stehen, was Verlage ihnen zahlen, wenn sie überhaupt zahlen.

Gut, wird man meinen, wäre es dann nicht besser, wenn einzelfallbezogen abgerechnet wird, dann bekommen diejenigen, die mehr genutzt werden, auch entsprechend mehr Geld.

Das klingt auf den ersten Blick gut, stimmt auf den zweiten Blick aber nachdenklich. Autorinnen und Autoren werden von ihren Verlagen ja aufgefordert, für Publikationsfreiheit zu votieren. Dabei geht es nicht nur um die freie Wahl des Publikationsweges, sondern auch um inhaltliche Vielfalt.

Die in der geplanten Urheberrechtsreform gesetzlich vorgehene pauschale Vergütung kommt mit der VG Wort-Ausschüttung JEDEM Werk zugute, die einzelfallbezogene Ausschüttung, die die Verlage fordern, nur den Erfolgreichen, also den Marktförmigen. Wollen wir wirklich in der Wissenschaft ein System etablieren, die die Steigerung von Klickraten prämiert? Ich denke, es ist mehr im Sinne von Vielfalt und Publikationsfreiheit, wenn auch das Randständige, Seltene und Unangepasste honoriert wird.

Open Access Zwang?

Auch für den zweiten Aspekt von Publikationsfreiheit, nämlich die freie Wahl des Publikationsweges, ist die geplante Urheberrechtsreform günstig. Durch die anwendungsfreundliche Ausgestaltung der Regelung für die elektronischen Semesterapparate können Lehrende auch gedruckte Werke einfach und leicht in digitale Lernumgebungen integrieren. Man muss nicht zwigend digital, open access oder bei einem Konzernverlag publizieren, um in der Hochschlulehre sichtbar zu sein. Ein liberal geregelter Semesterapparat gleicht Wettbewerbs- und Sichtbarkeitsnachteile gerade von Kleinverlagen aus. Für Autorinnen und Autoren bedeutet das Freiheit. Sie können tatsächlich publizieren, wo und wie sie wollen, ohne dass damit per se eine Sichtbarkeitsdiskrimierung aufgrund des digtialen Medienwandels verbunden ist. Die geplanten Schrankenbestimmungen heben die Publikationsfreiheit von wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren nicht auf, sondern sichern sie ab.

Es gibt schon ein paar Baustellen ....


Ist also alles in Ordnung und der Protest der Verlage vollkommen sinnfrei? Das wird man so auch  nicht sagen können. Gerade die kleinen und mittleren Verlage haben Probleme im Medienwandel. Und es gehört zur Natur demokratischer Gesetzgebungsverfahren, dass jede Seite ihre Sicht der Dinge vorträgt. Allerdings darf diese Sicht auch kritisiert werden. Vorstehend wurde dies getan. Viele Sorgen der Verlage sind, was die geplante Urheberrechtsreform betrifft, unbegründet.

Die Reform entspricht in ihrer Intention durchaus den Interessen der Verlage und ihrer Autorinnen und Autoren. Allerdings bleiben einige Diskussionspunkte, über die man im Gesetzgebungsverfahren wirklich nachdenken sollte. Sie seien beispielhaft genannt:

Wäre es nicht sinnvoll, die Nutzung im Semesterapprat auf 15% eines Werkes zu beschränken, soweit dieses Werk noch lieferbar ist? Im Gegenzug könnte man bei vergriffenen Werken großzügiger sein. Um Investitionen von Verlagen in eigene digitale Plattformen zu würdigen, könnte man auch regeln, dass Inhalte im Semesterapparat nur als graphische Datei angeboten werden dürfen; in diesem Fall müssen aber Ausnahmen sehbehinderte Studierende möglich sein. Man könnte auch darüber reden, ob jedenfalls bei noch lieferbaren Büchern die Vorlage für den Scan im Semesterapparat ein eigenes Werkstück sein muss. Die Idee wäre hier: Ich nutze "mein Buch" in der Lehre, nur halt auf digitalem Weg, aber ich "schnorre" mir die Inhalte nicht irgendwo zusammen.  Alles das wären Punkte, die Verlagen und dem Buchabsatz entgegenkämen, ohne die Leichtigkeit der Nutzung im Semesterapparat aufzuheben, die wesentlich ist für den Erfolg der Reform und damit am Ende auch für die Sicherung der Existenz kleiner und mittlerer Wissenschaftsverlage und der wissenschaftlichen Monographie.

Geregelt werden muss auch die Frage, unter welchen Bedingungen Verlage an der angemessenen Vergütung für die Nutzung im Semesterapparat zu beteiligen sind. Das ist aber KEINE Frage der anstehenden Urheberrechtsreform, die nur regelt, DASS vergütet werden muss, sondern des Rechts der Verwertungsgesellschaften, das regelt, WIE die Vergütung verteilt wird. Denkbar wäre hier, etwa die Buchverleger an den Vergütungen zu beteiligen. Dies könnte durch die Einführung eines entsprechenden Leistungsschutzrechtes erfolgen, dass geraden solchen Verlagen zugute kommen sollte, die durch Satz und Lektorat aus dem Manuskript eines Autors erst ein Buch machen. Eine solche Bevorzugung gerade der Buchverleger wäre angesichts des Medienwandeln kulturpolitisch durchaus plausibel. Dadurch freilich, dass man gegen die geplante Urheberrechtsreform ist und für den verquasten Status quo votiert, wird sich hier gar nichts bewegen.

Fazit


Es ist Zeit für ein Fazit: Die geplante Urheberrechtsreform ist bei näherem Hinsehen keine Schwächung von Publikationsfreiheit, sondern stärkt sie. Verlage trauern in ihrer Einschätzung der Lage alten Zeiten hinterher, in denen es das Internet und seine vielfältigen Inhalte noch nicht gab. Die Verknüfung richtiger Ziele wie der Sicherung von inhaltlicher Vielfalt, von anspruchsvollen gedruckten Monographien oder einer facettenreichen Verlagslandschaft mit einer Opposition zur geplanten Urheberrechtsreform jedoch, wie das bei publikationsfreiheit.de geschieht, ist hochproblematisch.

Die Rettung des gedruckten Buches vor dem bösen Internet ist gewissermaßen das "Katzenbaby-Foto", das zur Unterschrift verführt, obwohl man dabei mit Blick auf die geplante Urheberrechtsreform gegen die eigenen Interessen als Wissenschaftsautorin oder Wissenschaftsautor handelt. Man sollte das wissen. Es liegt nur leider nicht auf der Hand. Aber so funktionieren Leimruten nun einmal ...

Da will doch jeder gerne den Schalter drücken ...