Auch wenn beide Begriff nicht selten synonym verwendet werden, gibt es neben vielen Gemeinsamkeiten gleichwohl deutliche Unterschiede zwischen einem Gelehrten und einem Wissenschaftler.
Beide Begriffe beschreiben Personen, die sich mit der Suche nach Wissen befassen, doch implizieren sie unterschiedliche Haltungen, Praktiken und institutionelle Verankerungen. Auch haben sie einen unterschiedlichen historischen Hintergrund.
Der Gelehrte ist eine Figur der vormodernen und frühneuzeitlichen Wissenskultur. Er ist geprägt vom Ideal umfassender Bildung. Seine Autorität speist sich aus belesener Breite, philologischer Tiefe und oft auch moralischer Integrität. Gelehrsamkeit impliziert Bildung, Zitatfähigkeit, Kenntnis der Klassiker, Beherrschung toter Sprachen – kurzum: die Pflege eines kulturellen Kanons.
Der Wissenschaftler hingegen ist ein Produkt der Moderne, insbesondere der Aufklärung und der wissenschaftlichen Revolution. Seine Autorität gründet nicht auf Bildung im Sinne von Humaniora, sondern auf empirischer Forschung, methodischer Strenge und spezialisierter Erkenntnisproduktion. Er ist weniger Leser als Experimentator, weniger Kommentator als Entdecker.
Der Gelehrte sieht Wissen als etwas, das bewahrt, interpretiert und tradiert wird. Sein Metier ist oft hermeneutisch: Texte, Bedeutungen, Geschichte. Demgegenüber versteht der Wissenschaftler Wissen als etwas, das generiert, getestet und falsifiziert wird. Sein Zugang ist analytisch, quantitativ, modellbildend.
Der Gelehrte ist typischerweise mit der Universität vor der Humboldt’schen Reform verbunden: einem Ort der Bildung, nicht primär der Forschung. Der Wissenschaftler ist Kind der forschungsorientierten Universität nach Humboldt: autonom, spezialisiert, in Drittmittel und Publikationsdruck eingebunden.
Der Gelehrte schreibt oft essayistisch, dialogisch, mit Sinn für stilistische Eleganz und intertextuelle Anspielungen. Der Wissenschaftler schreibt in der Regel nüchtern, formelhaft, auf Nachprüfbarkeit und Reproduzierbarkeit hin. Er zitiert Fachjournale, keine Klassiker.
Man könnte sagen: Jeder Gelehrte ist ein Wissenschaftler, aber nicht jeder Wissenschaftler ist ein Gelehrter. Wo der Gelehrte den Zusammenhang des Wissens wahrt, fragmentiert der Wissenschaftler ihn in Fachdisziplinen.
Und doch ist der Übergang fließend: Es gibt wissenschaftlich arbeitende Gelehrte – wie etwa Historiker oder Philologen – und gelehrt wirkende Wissenschaftler, etwa in der Philosophie.