Samstag, 11. Februar 2017

Gute Raubkopie - schlechte Raubkopie, oder: Was Verlage sich leisten

2011 habe ich einen kleinen Beitrag in der Festschrift für Norbert Trippen veröffentlicht:

Eine kurze Geschichte der Ausbildung katholischer Theologen in Deutschland, in: Heinz Finger, Reimund Haas, Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.), Ortskirche und Weltkirche : kölnische Kirchengeschichte zwischen Mittelalter und Zweitem Vatikanum : Festgabe für Norbert Trippen zum 75. Geburtstag. - Köln [u.a.] : Böhlau, 2011 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte ; 28), S. 899-913.

Wie bei Festschriften üblich, gab es keine Kommunikation zwischen den Herausgebern und den Autoren über Nutzungsrechte. Das ist auch nicht weiter notwendig, weil § 38 Abs. 1 und 2 UrhG sowie § 31 Abs. 5 UrhG hier ausreichende Regelungen enthalten. Danach haben die Herausgeber von mir als Autor für die Dauer eines Jahres ausschließliche Nutzungsrechte für die Vervielfältigung und Verbreitung erhalten. Auf dieser Grundlage konnten die Herausgeber einen Vertrag mit dem Verlag abschließen.

Was dort im Einzelnen vereinbart wurde, muss mich als Autor nicht interessieren, denn im Urheberrecht können nur solche Rechte übertragen werden, über die man tatsächlich verfügen kann: Mehr als das, was ich den Herausgebern eingeräumt habe, kann der Verlag in keinem Fall bekommen.

Mitterweile hat der Böhlau-Verlag angefangen, in Kooperation mit De Gruyter seine Titel auch im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Das betrifft jetzt auch meinen Beitrag: 
http://www.degruyter.com/view/books/boehlau.9783412214128/boehlau.9783412214128.899/boehlau.9783412214128.899.xml.

Darin liegt ein Eingriff in mein Verwertungsrecht aus § 19a UrhG. Das ist nur in Ordnung, wenn der Verlag ein entsprechendes Nutzungsrecht erhalten hat. Ein solches Nutzungsrecht sehe ich erstmal nicht.

Erstes betrifft die 2010/11 erfolgte Rechteübertragung nach § 38 UrhG a.F. NUR die Printnutzung.

Zweitens war auch von den Herausgebern NIEMALS die Publikation als eBook im Internet in Aussicht gestellt worden, so dass auch nach § 31 Abs. 5 UrhG nicht vermutet werden kann, dass diese Rechte ebenfalls eingeräumt worden sind. 

Selbst wenn die Herausgeber in ihrem Vertrag mit dem Verlag etwas anderes vereinbart haben, von mir als Autor hatten sie nicht in ausreichendem Maße Nutzungsrechte erhalten, um diese wirksam an den Verlag übertragen zu können.

Möglicherweise wird der Verlag sich darauf berufen, dass er umfassende Rechte an dem Sammelwerk an sich hat. Mag sein. Aber es gehört zum ganz kleinen Grundwissen im Urheberrecht, dass man zwischen den Rechten am Sammelwerken und den Rechten an den Bestandteilen der Sammlung sauber trennen muss: vgl. Dreier/Schulze, UrhR, § 4, Rn. 4. 

Diese Trennung betrifft auch die Übertragung der Nutzungsrechte an Dritte, die der Urheber des Sammelwerkes ausnahmsweise ohne weitere Rücksprache vornehmen darf, vgl. Dreier/Schulze, UrhG, § 34, Rn. 26: „Die Zustimmung der Urheber der gesammelten Werke wird nur hinsichtlich desjenigen Nutzungsrechts ersetzt, welches sie dem Urheber des Sammelwerkes zuvor bereits eingeräumt hatten. Waren dem Herausgeber ... Druckrechte an einem Beitrag eingeräumt worden [so war es ja hier!, Anm. ES], kann er ohne gesonderte Zustimmung der Beitragsverfasser keine Online-Nutzungsrechte vergeben.“

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Der Verlag hat da wohl eine Raubkopie ins Netz gestellt!

Und jetzt? Im Grunde habe ich ja nichts dagegen, wenn mein Text gut sichtbar ist. Aber dass der Verlag jetzt auch noch 30€ für den Aufsatz vom zahlenden Leser haben möchte? Das wäre ja fast schon Piraterie.
Man stelle ich nur einmal den umgekehrten Fall vor, dass der Autor vertragswidrig Inhalte in Netz gestellt hätte ...

Als Autor bin ich zunächst einmal sauer. Doch was soll ich machen? Ich könnte den Verlag auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Aber daran habe ich gar kein Interesse, weil ich es schon gut finde, dass mein Text in einer professionellen Umgebung recherchierbar ist. Soll ich das also genehmigen? Ja, vielleicht. 

Aber ich selbst will das Recht zu behalten, meinen Text im Sinne eines gratis Open Access online zu stellen. Sollte ich also den Verlag kontaktieren, die Sache legalisieren und die Open Access Option für mich absichern?

Interessant ist ein Blick auf die Homepage von Böhlau. Dort präsentiert der Verlag seine AGB für die Autorenverträge. Wenn man sich die AGB durchliest, dann klingt das ja gar nicht schlecht. Böhlau darf den Text online vertreiben. Ich selbst kann als Autor nach einem Jahr den Text anderweitig publizieren, auch ins Netz stellen und dabei sogar das Original-Layout des Verlages verwenden. Vom Ergebnis her ist alles prima. Das ist aus Autorensicht eine durchaus vernünftige Regelung.

Aber wie sieht das rechtlich aus? Die AGB von Böhlau müssen wirksam in den Autorenvertrag einbezogen worden sein. In meinem Fall sind da doch erhebliche Zweifel angebracht. Mit dem Verlag hatte ich gar nichts zu tun, und die Herausgeber haben niemals irgendwelche Rechtefragen angesprochen. Es ging immer nur um die Publikation in einem gedruckten Buch. Um mehr nicht. 

So gesehen spricht viel dafür, dass das neue Online-Angebot doch eine Raubkopie ist, wenn auch eine „gute“. Im Ergebnis nämlich hätte ich mit dem Verlag keine andere Vereinbarung getroffen als die, die in den AGB vom Vorlag vorgeschlagen wird.

Was interessant ist: Böhlau vereinbart in seinen AGB etwas, was Verlagsvertreter bei der Diskussion um das neue Zweitveröffentlichungsrecht vehement bekämpft haben. Offenbar sieht Böhlau für sich und sein Geschäftsmodell in einer Zweitpublikation nach einem Jahr kein Problem. Und indem er noch die Nachnutzung des Satzspiegels gestattet - ob er das rechtlich tatsächlich verbieten könnte, sei dahingestellt - geht er über die neue Regelung in § 38 Abs. 4 UrhG noch hinaus.

Am Ende gibt es eine „gute Raubkopie“, die dem Willen aller Beteiligten entspricht. Und wo kein Kläger ist, da ist bekanntlich auch kein Richter ...

(Der Text wurde zuerst am 8. August 2014 auf meinem damaligen Blog "Skriptorium" publiziert.)