Wir sind es seit Jahren gewohnt, dass in der FAZ bevorzugt diejenigen Stimmen zu Wort kommen, die einer Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse einer durch das Internet geprägten Informations- und Wissensgesellschaft kritisch gegenüberstehen.
Wir sind es auch gewohnt, dass mit Roland Reuß und seinem Freundeskreis die immer gleichen Stimmen mitunter sehr schräge Debattenbeiträge im Feuilleton der FAZ platzieren. Dass damit Ansichten eine Öffentlichkeit bekommen, die ihrer tatsächlichen Relevanz nicht entspricht, kann man auch verschmerzen. Der aufmerksame Zeitungsleser wird schon merken, dass es immer der gleiche akademische Mitarbeiter und außerplanmäßige Professor aus Heidelberg ist, der im Namen DER Wissenschaft seine fundamentale Digitalkritik vorbringt.
Alles das gehört zu einer öffentlichen Debatte. Dafür sind Zeitungen da. Und selbstverständlich gehört in Zeiten des digitalen Wandels auch Digitalkritik dazu. Im Grunde haben wir von guter Digitalkritik sogar eher zu wenig als zu viel.
Wenn jetzt aber die FAZ als Zeitung in Gestalt ihrer Geschäftsführer und Herausgeber selbst Position in der aktuellen Urheberrechtsdebatte bezieht, ganz explizit Partei ergreift und offene Briefe an Bundesrat und Bundestag adressiert, erreicht die Diskussion ein neues Level.
Die FAZ sieht ihre Arbeit als Zeitung gefährdet und die Pressefreiheit in Gefahr. Das sind starke Worte. Der Wert der Sache aber, um die es geht, rechtfertigt diese Worte. Nur, geht es hier tatsächlich um die Sache? Ja, tut es. Nur anders als die FAZ sich das vermutlich vorstellt.
Der offene Brief der FAZ, den sie praktischerweise in ihrer eigenen Zeitung und damit im Kanal ihrer eigenen Reichweite deutlich sichtbar platziert, ist inhatlich falsch und irreführend (Warum das so ist, kann man hier nachlesen). Das freilich kann nur erkennen, wer über solide urheberrechtliche Kenntnisse verfügt und die Reformdebatte der letzten Jahre aufmerksam begleitet hat. Das können nur wenige. Sehr wenige.
Und hier sind wir beim Kern des Problems: Wir brauchen in den politischen Diskussionen und öffentlichen Debatten Akteure, denen man vertrauen kann. Akteure, die mit Sachverstand den Lauf der Dinge beobachten, ihn kenntnisreich kommentieren und sachlich zutreffend einordnen. Wenn von der Bedeutung der Presse für die Demokratie die Rede ist, dann geht es genau darum. Das unterscheidet gute Zeitungen von Informationen im Internet, die nachzuprüfen nicht immer leicht ist, jedenfalls Zeit erfordert. Auch diese Zeit hat nicht jeder. Daher vertrauen wir bestimmten Zeitungen und Personen, unterstellen ihnen Sachkunde und nehmen ernst, was sie sagen. Ohne solche Akteure könnten öffentliche Debatten in der Demokratie nicht funktionieren und würden in reines "Meinen" abgleiten. Die Risiken dieser Entwicklung liegen allen vor Augen.
Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, wenn eine Zeitung wie die FAZ, die hierzulande zu den Garanten für einen seriösen Journalismus gehört und insoweit in gewisser Hinsicht "systemrelevant" ist, um einen kleinen Lobbyerfolg in der Gesetzgebung zu verbuchen ihre Leserinnen und Leser mit der ganzen Wucht ihrer journalistischen Autorität desinformiert.
Ich stimmt den Verfassern des offenen Briefes zu: Es gibt gerade tatsächlich eine Gefahr für eine funktionierende Presse in Deutschland. Diese Gefahr sitzt allerdings nicht in Berlin, sondern in Frankfurt. Die FAZ sollte sich sehr ernsthaft fragen, welche Funktion sie in der Öffentlichkeit künftig spielen will. Mein Vertrauen in ihre Berichterstattung ist jedenfalls nachhaltig erschüttert. Wie kann ich künftig dort, wo ich mich selbst nicht gut auskenne, noch auf die Analysen und Berichte eines Blattes vertrauen, das jahrzehntelang ein unbestritter Garant für seriösen Journalismus war?
Wer angesichts leicht verfügbarer Konkurrenz im Internet überleben will, dem sollte sein Markenkern viel zu wertvoll sein, um ihn als Einsatz im Berliner Lobby-Zirkus leichtfertig zu verschleudern.