Nach langer und zäher Diskussion haben sich die Regierungsfraktionen auf Änderungen beim UrhWissG geeignigt (vgl. Ausschussdrucksache 18 [6] 376), die am Freitag im Bundestag verabschiedet werden sollen. Morgen werden die Ausschussberatungen sein.
Zunächst die gute Nachricht. Der Regierungsentwurf wird die Ausschussberatungen wohl weitgehend unverändert passieren. Es wird insbesondere bei den elektronischen Semesterapparaten, aber auch bei Text- und Data-Mining zu Verbesserungen kommen. Auch erhält die Deutsche Nationalbibliothek endlich die notwendige urheberrechliche Grundlage, um mit der Archivierung von Netzpublikationen zu beginnen. Sie ist seit 2006 dafür gesetzlich zuständig. Erst einmal vom Tisch sind eine Einzelabrechnung für elektronische Semesterapparate sowie ein verpflichtender Verlagsvorrang. Auch andere Verbesserungen im geltenden Urheberrecht sind zu verbuchen, die hier nicht weiter aufgezeigt werden können.
Etwas eingetrübt wird die Novelle dadurch, dass sie auf 5 Jahre befristet sein soll. Danach sind die neuen Bestimmungen für Wissenschaft und Bildung nicht mehr anwendbar. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn diese Bestimmungen nicht zu großen Teilen bestehende Regelungen ersetzt hätten, die durch das UrhWissG aufgehoben werden. Im worst case wären 2023 ALLE Kopien im Kontext von Wissenschaft, Bildung und Schule verboten sowie die Kopien in der Fernleihe ERSATZLOS abgeschafft. Der Gesetzgeber sollte vielleicht darüber nachdenken, die Rolle rückwärts bei der Novelle auch auf die mit der Novelle gemachten Streichungen anzuwenden, so dass im Fall der Fälle wenigstens die Rechtslage vor dem Erlass des UrhWissG wiederauflebt. Gleichwohl kann man sagen, dass fünf Jahre eine lange Zeit sind und der Bundestag allein schon mit Blick auf europäische Entwicklungen häufiger Gelegenheit haben wird, das Urheberrecht zu behandeln, so dass es wohl nicht zum Super-GAU einer schrankenfreien Bildung und Wissenschaft kommen wird.
Als "Erfolg" einer insbesondere von der FAZ mit regelrechten Falschinformationen geführten Kampagne kann die weitgehende Herausnahme der Nutzungen von Zeitungsartikeln und vergleichbaren Presseerzeugnissen bei den neuen Bestimmungen verbucht werden. Was mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Situation der Zeitungen, die angesichts einer
zunehmend alternden und damit sinkenden Leserschaft ihr Heil in kommerziellen Online-Archiven suchen, durchaus verständlich ist, wurde handwerklich freilich mehr als schlecht umgesetzt.
Elegant wäre ein eigener Passus dergestalt gewesen, dass die Nutzung von Zeitungsartikeln auf elektronischen Plattformen oder in der Fernleihe dann nicht zulässig ist, wenn Zeitungsverlage selbst eigene Angebote machen. Dieser durchaus akzeptable Kompromiss, der Investitionen in Online-Archive und die Umsätze dort ausreichend abgesichert hätte, wurde jedoch nicht beschlossen. Stattdessen wurde eine grobe und undifferenzierte Lösung gewählt, die die Nutzung von Zeitungsartikeln in ALLEN Bereichen von Bildung, Wissenschaft und Bibliothek untersagt. Erlaubt sind künftig nur noch Kopien aus Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Zeitschriften. Ausgeschlossen sind damit nicht nur die klassische Presse, sondern auch Kulturzeitschriften wie etwa Der Merkur.
Das führt zu folgenden geradezu grotesken Ergebnissen:
Ein Wissenschaftler oder auch eine Schülerin dürfen künftig für die nichtkommerziellen Zwecke von Schule und Hochschule KEINEN einzigen Zeitungsartikel mehr kopieren.
Da aber sowohl die Privatkopie als auch der sonstige eigene Gebrauch in § 53 UrhG unverändert erhalten bleiben, dürfte unsere Schülerin einen Zeitungsartikel für die Vorbereitung eines Referates zwar nicht kopieren, um aber den gleichen Artikel ihrer blinden Oma am Nachmittag im Altenheim vorzulesen schon.
Der sonstige eigene Gebrauch gestattet ausdrücklich Kopien auch für gewerbliche und kommerzielle Zwecke. Ein Rechtsanwalt dürfte also für die Ausübung eines Mandates einen Zeitungsartikel kopieren, eine Professorin aber nicht, wenn sie über juristische Zeitgeschichte wissenschaftlich arbeitet.
In gleicher Weise wird an einer Technischen Universität eine mit Industriemitteln forschende Wissenschaftlerin Zeitungsartikeln vervielfältigen dürfen, während ihr Kollege aus der Grundlagenforschung sich einen interessanten Beitrag aus der Naturwissenschaftsseite der FAZ nicht ablichten darf.
Man könnte hier einwenden, dass der sonstige eigene Gebrauch in § 53 UrhG immer auch als Auffangtatbestand diente und daher mit der Novelle eigentlich nichts passiert ist. Hier freilich macht die Logik des UrhWissG einen dicken Strich durch die Rechnung. Es ist ausdrücklich Sinn und Zweck der neu geschaffenen Vorschriften, alle für einen bestimmten Lebenssachverhalt geltenden Bestimmungen an EINER Stelle zu versammeln. Im Klartext heißt das, dass wissenschaftliche Forschung Werke künftig NUR nach den neuen Bestimmungen nutzen darf. Ein Ausweichen auf § 53 UrhG ist damit wohl nicht mehr möglich.
Die gründliche Streichung des Wortes "Zeitung" in den neuen Bestimmungen betrifft auch die Fernleihe. Künfig sind Kopien aus Zeitungen in der Fernleihe ausnahmslos untersagt. Wenn gleichzeitig die Presse, allen voran die FAZ nicht müde wird, ihre staatstragende Funktion im Zeitalter der Fakenews zu betonen und ihre Bedeutung als Quelle gesicherter Fakten herauszustellen, wird Bürgerinnen und Bürgern, die Ereignisse anhand älterer Presseberichte bewerten wollen, der Zugang zu diesen Inhalten erschwert, wenn nicht gar faktisch unmöglich gemacht. Man könnte den vollständigen Ausschluss von Zeitungen von der Fernleihe geradezu als ein Wegschließen der freien Pressse verstehen. Mit dem für eine funktionierende Demokratie wichtigen Grundrecht der Informationsfreiheit, das einen ungehinderten Zugang zu publizierten Inhalten garantiert, wird man das kaum in Einklang bringen können.
Die jetzt im Änderungsantrag sich abzeichnende Ausmerzung der Zeitung aus dem Bereich von Bildung und Wissenschaft dürfe kaum im Interesse der Presse insgesamt sein, vor allem nicht derjenigen kleinen Blätter, die aus purem Firmenegoismus des FAZ nun vollkommen von der Sichtbarkeit in den Ausbildungseinrichtungen abgeschnitten sind. Mit Blick auf die unter Jugendlichen und Studierenden ohnehin äußerst geringe Nutzung gerade von Tageszeitungen dürfte die Verbannung der Presse aus Schule und Hochschule den Niedergang der Zeitung eher beschleunigen als aufhalten.
Da gerade im Feuilleton traditionell auch wissenschaftlich gehaltvolle Essays renommierter Forscherinnen und Forscher erscheinen, mutet es seltsam an, wenn diese Inhalte nicht wie andere Fachartikel an Bildungseinrichtungen genutzt werden dürfen. Sachlich rechtfertigen wird man das kaum können.
Es besteht zwar nur sehr wenig Hoffnung, dass an der für die Presse vollkommen verunglückten Regelung noch etwas geändert wird. Gleichwohl sei ein kleiner Vorschlag unterbreitet, der die Kuh vielleicht noch vom Eis holt, ohne den mühsam verhandelten Kompromiss mit Blick auf die Rentabilität von Online-Archiven infrage zu stellen.
Der Vorschlag sieht so aus:
1. Die Änderungen bei den Zeitungen, wie im Änderungsantrag vorgesehen, werden rückgängig gemacht.
2. Es wird dem geplanten § 60g folgender Absatz 3 angefügt: "Soweit Zeitungen und vergleichbare Presseerzeugnisse den Mitgliedern der Öffentlichkeit offensichtlich von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl mittels einer vertraglichen Vereinbarung zu angemessenen Bedingungen zugänglich sind, ist eine öffentliche Zugänglichmachung nach diesem Unterabschnitt ausgeschlossen, § 60e Abs. 5 ist nicht anwendbar."
Damit kann Presse wieder durchgängig für Bildung und Wissenschaft genutzt werden. Soweit Zeitungen jedoch eigene Online-Archive vermarkten, sind Fernleihe und Lernplattformnen tabu. Dieses Ergebnis ist fair und sachgerecht. Alles andere wäre unabsichtigte Sterbehilfe für die freie Presse und ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf Informationsfreiheit.