Samstag, 11. Februar 2017

Bücher, eBücher und Bibliothekswissenschaft

Der digitale Medienwandel, wie wir ihn gerade in den Bibliotheken erleben, macht auch vor dem gedruckten Buch nicht halt. Nicht nur im Bereich der wissenschaftlichen Literatur, auch in der Belletristik finden sich praktisch alle lieferbaren Titel zugleich in einer elektronischen Form, die über das Internet ausgeliefert wird und an Bildschirmen, mobilen Endgeräten aller Art und speziellen E-Book-Readern gelesen werden kann.

Diese so genannten E-Books (eBücher) sind sehr praktisch. Sie nehmen keinen Platz weg und lassen sich, sofern die Technik, die Netzabdeckung, der Akku und das Rechtemanagement mitspielen, nahezu überall lesen. Außerdem können sie in Windeseile durchsucht werden, was gerade für den wissenschaftlichen Nutzer sehr praktisch ist. Kein Zweifel, diese E-Books sind eine feine Sache, auf die man gerade in der Wissenschaft nicht mehr verzichten möchte.


Ausgehend von diesem Vorteil wird von Informationsexperten, zu denen sich auch und gerade die Bibliothekare gerne rechnen, immer wieder und mit der Emphase eines wissenden Apokalyptiker das Ende des gedruckten Buches postuliert. Denn dessen Funktion, so heißt es, würden in absehbarer Zeit die E-Books übernehmen.


Das Dumme daran ist nur, dass ein E-Book leider kein Buch ist. Damit ist nicht nur gemeint, dass ein trägerloser Datenstrom ganz anderen rechtlichen Regeln folgt und schon insoweit etwas vollkommen anderes ist als ein (gedrucktes) Buch.


Es geht, wenn vom „Buch“ die Rede ist, auch und gerade um die kulturelle Dimension konkreter Objekte. Sie wird immer dann übersehen, wenn diese Objekte auf ihren publizierten Informationsgehalt reduziert werden. Die Bibliothekswissenschaft muss hier aufpassen, nicht unkritisch und voreilig einem informationswissenschaftlichen Reduktionismus aufzusitzen.


Entstanden aus dem Geist der technokratischer Planungseuphorie der 70er Jahre, fehlt der Informationswissenschaft ein cultural turn, der neben der bloßen Information nicht nur deren soziale und organisatorische, sondern auch deren kulturelle und anthropologische Seite anerkennt. Das Buch ist terminologisch der Inbegriff all dieser unterschiedlichen Aspekte. Es ist nicht einzusehen, warum es terminologisch folgenlos sein soll, wenn einer oder mehrere dieser Aspekte ausgeblendet werden.


Eine Datei, die den publizierten Inhalt eines (gedruckten) Buches in elektronischer Form enthält, als „Buch“ zu bezeichnen, ist etwa so sinnvoll und verkürzend, wie eine Klorolle entsprechend zu benennen, nur weil sie wie eine Druckschrift aus Papier besteht.


Auch wenn man richtigerweise einwenden kann, dass es ja vor allem auf den Inhalt ankommt, so sollte es doch zu denken geben, dass wir ein textgetreu gespieltes Stück auf einer Bühne, obwohl der Inhalt identisch ist, niemals als „Buch“ bezeichnen. Warum sollte das dann für eine elektronische „Aufführung“ auf einem Datenträger gelten, die von ihrer Flüchtigkeit her eher mit einem Theaterstück, denn mit einem soliden Druck zu vergleichen ist?


Es wäre gerade in Zeiten des digitalen Wandels Aufgabe einer eigenständigen Bibliothekswissenschaft, die in der Informationswissenschaft meist ausgesparten kulturellen Aspekte publizierter Inhalte stärker in den Blick zu nehmen und so selbstbewusst ihren eigenen Platz als Kultur- und Organisationswissenschaft der publizierten und institutionell gesammelten Information zu behaupten.