Der digitale Medienwandel, wie wir ihn gerade in den Bibliotheken erleben,
macht auch vor dem gedruckten Buch nicht halt. Nicht nur im Bereich der
wissenschaftlichen Literatur, auch in der Belletristik finden sich praktisch
alle lieferbaren Titel zugleich in einer elektronischen Form, die über das
Internet ausgeliefert wird und an Bildschirmen, mobilen Endgeräten aller Art
und speziellen E-Book-Readern gelesen werden kann.
Diese so genannten E-Books (eBücher) sind sehr praktisch. Sie nehmen keinen
Platz weg und lassen sich, sofern die Technik, die Netzabdeckung, der Akku und
das Rechtemanagement mitspielen, nahezu überall lesen. Außerdem können sie in
Windeseile durchsucht werden, was gerade für den wissenschaftlichen Nutzer sehr
praktisch ist. Kein Zweifel, diese E-Books sind eine feine Sache, auf die man
gerade in der Wissenschaft nicht mehr verzichten möchte.
Ausgehend von diesem Vorteil wird von Informationsexperten, zu denen sich
auch und gerade die Bibliothekare gerne rechnen, immer wieder und mit der Emphase
eines wissenden Apokalyptiker das Ende des gedruckten Buches postuliert. Denn
dessen Funktion, so heißt es, würden in absehbarer Zeit die E-Books übernehmen.
Das Dumme daran ist nur, dass ein E-Book leider kein Buch ist. Damit ist
nicht nur gemeint, dass ein trägerloser Datenstrom ganz anderen rechtlichen
Regeln folgt und schon insoweit etwas vollkommen anderes ist als ein
(gedrucktes) Buch.
Es geht, wenn vom „Buch“ die Rede ist, auch und gerade um die kulturelle
Dimension konkreter Objekte. Sie wird immer dann übersehen, wenn diese Objekte
auf ihren publizierten Informationsgehalt reduziert werden. Die
Bibliothekswissenschaft muss hier aufpassen, nicht unkritisch und voreilig
einem informationswissenschaftlichen Reduktionismus aufzusitzen.
Entstanden aus dem Geist der technokratischer Planungseuphorie der 70er
Jahre, fehlt der Informationswissenschaft ein cultural turn, der neben der
bloßen Information nicht nur deren soziale und organisatorische, sondern auch
deren kulturelle und anthropologische Seite anerkennt. Das Buch ist
terminologisch der Inbegriff all dieser unterschiedlichen Aspekte. Es ist nicht
einzusehen, warum es terminologisch folgenlos sein soll, wenn einer oder
mehrere dieser Aspekte ausgeblendet werden.
Eine Datei, die den publizierten Inhalt eines (gedruckten) Buches in
elektronischer Form enthält, als „Buch“ zu bezeichnen, ist etwa so sinnvoll und
verkürzend, wie eine Klorolle entsprechend zu benennen, nur weil sie wie eine
Druckschrift aus Papier besteht.
Auch wenn man richtigerweise einwenden kann, dass es ja vor allem auf den
Inhalt ankommt, so sollte es doch zu denken geben, dass wir ein textgetreu
gespieltes Stück auf einer Bühne, obwohl der Inhalt identisch ist, niemals als „Buch“
bezeichnen. Warum sollte das dann für eine elektronische „Aufführung“ auf einem
Datenträger gelten, die von ihrer Flüchtigkeit her eher mit einem Theaterstück,
denn mit einem soliden Druck zu vergleichen ist?
Es wäre gerade in Zeiten des digitalen Wandels Aufgabe einer eigenständigen
Bibliothekswissenschaft, die in der Informationswissenschaft meist ausgesparten
kulturellen Aspekte publizierter Inhalte stärker in den Blick zu nehmen und so
selbstbewusst ihren eigenen Platz als Kultur- und Organisationswissenschaft der
publizierten und institutionell gesammelten Information zu behaupten.