"Bibliotheken sind zutiefst private und religiöse Orte zugleich: Repositorien der eigenen Biografie ..., Orte, an denen individuelle und kollektive Geschichte scheinbar sinnvoll ineinandergreifen, die dem Narrativ geweiht sind, der Erklärung, dem roten Faden. Allein die Reihung der Buchrücken im Regal (nach welchem Prinzip?) schafft einen trügerischen Eindruck von Ordnung: als wäre hier alles, was in goldenen Lettern leuchtet, systematisch und erschöpfend behandelt, als könnte man von einem Buch zum nächsten schreiten auf dem Pfad der Erleuchtung. ...
Aber die Bibliothek verspricht mehr als nur Wissen. Bücher enthalten nicht nur Informationen, sie sind auch Sammelobjekte, Fetische, Reliquien ...
Können solche Bibliotheken im Zeitalter des Internets überleben? Nicht dass es sie nicht mehr gäbe - aber sie haben ihren Anspruch auf Gültigkeit verloren. Ihnen fehlt die Aura der Wahrheit. Wir trauen goldgeprägten Buchrücken nicht mehr zu, uns die Welt zu erschließen."
Philipp Blom, Bibliomanie und Emigration, in: Sasha Abramsky, Das Haus der zwanzigtausend Bücher, 2. Aufl., München 2015, S. 372.