Beobachtet man zur Zeit den Lehrbuchmarkt, so erscheinen immer interessantere Titel. Schön gestaltete Bücher, die auf den Punkt kommen, und opulente Riesenwälzer: Man kann wählen zwischen raffiniertem Wissens-Sushi und einem ausgiebigen Mehrgänge-Menu.
Dennoch: Der Lehrbuchmarkt scheint in der Krise zu stecken. Verleger beklagen sich über sinkende Absatzzahlen. Die Schuldigen sind hier schnell ausgemacht. Es sind vor allem die Bibliotheken und ihre unseligen Online-Aktivitäten, die dem Lehrbuch zusetzen.
„Aus Gesprächen mit vielen Verlagen weiß ich: Die Absatzzahlen von Lehrbüchern sind teilweise eingebrochen. Das bezieht sich insbesondere auf Nischenprodukte, die in der Anschaffung teuer sind. Studenten nutzen für ihre Arbeit zunehmend lieber das, was im Intranet eingestellt ist, als sich das entsprechende Lehrbuch anzuschaffen. Bei manchen Verlagen geht § 52a UrhG an die Substanz“, so MdB Dr. Günter Krings (CDU) in der Plenardebatte zur Verlängerung von § 52a UrhG (PlPr. 16/187, S. 20139 D).
In die gleiche Richtung geht die von Verlegern geäußerte Kritik an § 52b UrhG. Der Gesetzgeber hat diesen Paragraphen dann auch mit der strikten Bestandsakzessorietät an die kurze Leine genommen.
Aber: Sind „§§ 52a, 52b UrhG“ tatsächlich das Ebola-Virus des Lehrbuchs? Ich meine nicht. Wer intensiv mit einem Buch arbeitet, begnügt sich nicht mit ein paar gescannten Seiten (§ 52a UrhG) oder dem Lesen am elektronischen Leseplatz (§ 52b UrhG). Er kauft sich das Buch.
Wenn das nun nicht mehr in zufriedenstellendem Maß passiert, muss das Gründe haben. Diese Gründe liegen meines Erachtens nicht bei den Bibliotheken, sondern bei den Verlagen und den Hochschulen.
Ein erster Grund dürfte in einer gewissen Sättigung des Marktes liegen. Das Angebot der verfügbaren Lehrbücher zu einem Fachgebiet steigt. Beispiel? Urheberrecht. Als ich studierte gab es das Lehrbuch von Rehbinder. Punkt. Heute gibt es wenigstens fünf ernstzunehmende Titel. Fehlt eigentlich nur noch das Alpmann-Skript.
Der wichtigere Grund aber für die Krise des Lehrbuchs heißt „Bologna“. Bologna modularisiert - fast hätte ich provinzialisiert geschrieben - das Studium in kleine Happen, die dann sukzessive „abgeprüft“ werden. Um hier erfolgreich zu sein, brauche ich kein Lehrbuch, sondern das „Skript“ des Dozenten. Das Vorhandensein solcher Skripte wird erwartet. Ihr Fehlen bei den ebenfalls derzeit hoch im Kurs stehenden Lehrevaluationen abgestraft.
Und welcher Dozent will nicht seine karge W-Grundbesoldung, die irgendwo zwischen Realschullehrer und Oberstudienrat liegt, durch Leistungszulagen aufbessern? Also schreibt man ein gutes und passgenaues Skript und verteilt es - am besten im Intranet der Hochschule. Die Studierenden sind zufrieden, evaluieren wunschgemäß, machen ordentliche Prüfungen und sparen sich das Lehrbuch.
Daher meine These: Die Lage des Lehrbuchs verhält sich umgekehrt proportional zum fachlichen Fokus der Hochschulprüfungen. Je weiter er ist, desto weniger kann ein Student auf die eigene Lektüre von Lehrbüchern verzichten. Und hier sind die herrschenden Verhältnisse an den Hochschulen zur Zeit nicht günstig.
Aber: Keine Illusionen! Das Abenteuer, sich auf 500 Seiten mit dem Allgemeinen Teil des BGB zu befassen, wird immer nur ein Vergnügen der Wenigen bleiben. Ich habe am Wochenende das einschlägige Lehrbuch aus dem Regal genommen, gekauft 1991 bei Thiele in Münster (gibt es heute nicht mehr), bedeckt mit Anmerkungen und Unterstreichungen. Erinnerungen an lange Seminartage ... Wie gesagt, ich liebe Lehrbücher ...
(Der Beitrag wurde ursprünglich am 30. März 2009 auf meinem damaligen Blog "Skriptorium" veröffentlicht.)